Gina Krückl

Reporterin

350 Kühe und ihre Sennen erklimmen die Engstligenalp

Am Montag war es mal wieder so weit: Einer der spektakulärsten Alpaufzüge der Schweiz ging im Oberland über die Bühne. Mittendrin ist Landwirt Markus Grossen. Gemeinsam mit seiner Familie brachte er 28 Kühe sicher auf die Hochebene. Auch sonst verlief der Aufstieg laut dem Bergschaft-Präsidenten reibungslos.

Schon früh morgens wurden die Kühe rund um die Talstation der Engstligenalp zusammengetrieben.

Es ist kurz vor fünf Uhr morgens und langsam erhellt sich der Himmel über Adelboden. Doch schon jetzt herrscht Unter dem Brig reger Betrieb. Der Parkplatz ist bereits halb voll und alle paar Minuten fährt die Gondel eine Gruppe Wanderer und Schaulustige von der Talstation hinauf zur Engstligenalp. Die Landwirte der umliegenden Bauernhöfe gehen im Marschschritt in ihren Ställen ein und aus. Und das Gebimmel Dutzender Glocken kündigt an, was gleich passieren wird.

Jeder einzelnen der 350 Kühe wird für den Alpaufzug eine Glocke angelegt.
Diese Felswand müssen die Kühe und ihre Sennen erklimmen.
Spektakulärer Alpaufzug über Felswand

Am Montagmorgen fand einer der spektakulärsten Alpaufzüge der Schweiz statt. Zwölf Bauern-Familien trieben gut 350 Kühe auf die Hochebene und mussten dabei rund 600 Höhenmeter über einen schmalen sowie teils steilen und felsigen Pfad zurücklegen. Für den Aufstieg auf die 1950 Meter über dem Meer liegende Engstligenalp ob Adelboden benötigten die Sennen und ihre Tiere je gut eine Stunde. Da aber natürlich nicht alle gleichzeitig auf den schmalen Pfad passen, starten die Bauern gestaffelt. Der letzte Nachzügler trudelte etwa um neun Uhr auf der Engstligenalp ein.

Um neun Uhr sind auch die Kühe von Markus Grossen auf seiner Alp angekommen.
Markus Grossen ist Adelbodner Landwirt und Präsident der Bergschaft Engstligenalp.

Einer der letzten, der seine Kühe auf die Alp brachte, ist Markus Grossen, Präsident der Bergschaft Engstligenalp. 28 Tiere trieben der Adelbodner und seine Familie den Berg hinauf. «Dieses Jahr lief es sehr gut.» Das sei nicht jedes Jahr so. «Seinen ganzen Viehbestand an der Felswand zu haben, bedeutet für uns immer einen Nervenkitzel und dann ist man froh, wenn alles so ruhig läuft wie dieses Jahr.»

Engstligenalp
Markus Grossen erzählt, wie der diesjährige Alpaufzug gelaufen ist.
Keine exakte Startzeit
Nach dem Aufstieg geniessen Markus Grossen (zweiter von links) und seine Helfer auf der Alp ein ausgiebiges Frühstück.

Nicht nur der Aufstieg selbst, sondern auch die Stunden davor sind laut Grossen recht stressig. «Bei der Talstation gibt es sehr viel Wald, dann kann es sein, dass man seine Kühe am Morgen recht lange suchen muss.» Darum könne man auch keine exakte Startzeit für den Alpaufzug angeben. Sobald alle Kühe beisammen sind und eine Glocke tragen, geht es los.

Eine Kuh mit Glocke steht allein im Wald Unter dem Brig. Vielleicht oder vielleicht auch nicht ging sie kurzzeitig verloren.

Laut Grossen passiert glücklicherweise nur selten etwas. Das letzte grosse Unglück hätte es in den 70ern gegeben. «Damals ist ein Tier die Felswand hinabgestürzt.» Das liegt zum einen daran, dass nicht nur die Sennen, sondern auch die meisten der Kühe den Weg zur Engstligenalp bereits kennen. Jedes Jahr im Frühsommer legen sie ihn zurück, um an ihr Sommer-Gras zu kommen.

Für die meisten der Kühe ist es nicht der erste Alpaufzug zur Engstligenalp.
In diesem Jahr kriegen sie bei ihrem Aufstieg sogar noch musikalische Unterstützung.

Mit einigen wenigen Ausnahmen. Rund 150 Tiere wurden laut Grossen bereits am Wochenende mit der Gondel auf die Alp gebracht. «Das sind Kälber und Kühe, die nicht so gut zu Fuss sind. Sei es aus gesundheitlichen oder emotionalen Gründen.»

Beim Alpaufzug sind Jung und Alt mit dabei. Allerdings nur bei den Menschen. Junge und gebrechliche Tiere werden per Gondel auf die Alp gebracht.
«Sehr gut ausgebauter» Weg ohne Touristen

Der andere Grund, dass es seit rund 50 Jahren keine grösseren Unfälle mehr gegeben hat, sei der mittlerweile «sehr gut ausgebaute» Weg, so Grossen. Trotzdem: «Man weiss nie, es kann immer etwas passieren.» Darum sei es so wichtig, dass Touristen nicht mit dem Vieh mitlaufen.

Auch von der Gondel aus kann man den spektakulären Weg der Kühe bewundern.

Laut Grossen ist das nicht nur zum Wohl der Kühe. «Es geht auch darum, dass niemandem sonst etwas passiert.» Beim Alpaufzug seien gleichzeitig Dutzende Tiere in der Felswand und dabei sei es nicht unüblich, dass sich Steine lösen und hinunterstürzen. «Darum sind wir dankbar, wenn Zuschauer sich oben oder unten und an einem übersichtlichen Platz befinden.» In diesem Jahr hätte das sehr gut funktioniert.

Die Kühe erklimmen die letzten Meter bis zu ihrem Sommer-Paradies, wo sie bereits von einer Gruppe Schaulustiger erwartet werden.

Das mag wohl an der dazugelernten Disziplin der regelmässigen Alpaufzug-Gucker liegen. Vor allem aber gab es bei dem diesjährigen Alpaufzug deutlich weniger Zuschauer als in den Vorjahren. Ausgenommen natürlich das letzte Jahr, das bekanntermassen in jeglicher Hinsicht ungewöhnlich war. Normalerweise strömen Hunderte Personen nach Adelboden, damit sie den Aufstieg der Kühe bewundern können.

In der Vor-Corona-Zeit war diese Wiese mit Zuschauern gefüllt.

In diesem Jahr verzichtete man bewusst auf das Publizieren des genauen Aufzugs-Datums, um in der noch immer angespannten Zeit eine zu grosse Menschen-Ansammlung zu verhindern. Dennoch versammelten sich ein paar Dutzend Schaulustige auf der Engstligenalp. Überrascht war Grossen deswegen nicht: «Es gibt Leute, die warten den ganzen Frühling auf den Alpaufzug.» Er selbst hätte mehrere Anfragen zum Datum erhalten. «Und das spricht sich dann halt rum.»

Das Datum des Alpaufzugs ist ein schlecht gehütetes Geheimnis.

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