Eingefrorener Kot, aufgetaute Mäuse und mehr als ein skeptisches Augenpaar, das mich auf meinem Weg durch die Gehege verfolgt. Meinen Selbstversuch im Wildpark Brienz würde ich selbst als vollen Erfolg bezeichnen.
Es ist fünf Uhr morgens, als am Donnerstag mein Wecker klingelt. Durch mein Schlafzimmerfenster dringt noch kein einziger Sonnenstrahl. Normalerweise würde ich mich mit Händen und Füssen dagegen wehren, so früh aufzustehen, doch mein heutiges Vorhaben ist es allemal wert. Heute darf ich im Wildpark Brienz als Tierpflegerin aushelfen.

Lehrmeister Ruedi
Zwei Stunden später stehe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Melanie Beugger vor dem Eingang zum Wildpark, und wir werden von Hauptwärter Ruedi Fuchs begrüsst. Der 70-Jährige war 35 Jahre lang der Wildhüter der Region und hilft seit seiner Pension im Wildpark aus. Seit fünf Jahren kümmert er sich zweimal die Woche um das Steinwild, die Gämse, die Hirsche und Rehe, die Murmeltiere und die Vögel des Parks. Ich darf ihm heute dabei zur Hand gehen.
Wir beginnen damit, das Futter für Tiere bereitzumachen. Jede Tiergruppe erhält je nach ihren Bedürfnissen und Vorlieben eine andere Zusammenstellung der Futtermittel: So bekommen Gämsen und Steinwild nebst Trockenfutter zerkleinerte Kastanien, die Hirsche dagegen ganze Kastanien. In beide Futterschüsseln werfen wir noch ein paar Hände voll altes Brot. Für die Wildtiere eine Delikatesse, doch dazu muss es trocken und nicht schimmlig sein. Die Murmeltiere erhalten nichts, weil diese sich aktuell im Winterschlaf befinden.


Mit Kastanien und altem Brot kann zumindest ein Teil der Wildpark-Vögel nicht viel anfangen. Bei dem Steinkäuzchen und den beiden Schneeeulen stehen dagegen Mäuse und Eintags-Küken auf dem Speiseplan. Heute gibt es Mäuse, die im Häuschen im Inneren der Voliere gezüchtet werden. Sind sie ausgewachsen, werden sie mit purem Sauerstoff eingeschläfert und dann eingefroren. Zum Verfüttern werden sie über Nacht wieder aufgetaut. Während sich die Eulen auf ihre je vier Mäuse stürzen, lässt sich das Käuzchen nicht blicken.

Mit Rechen und Laubbläser ans Eingefrorene
Langsam hellt sich der Himmel auf. Höchste Zeit, sich an die Säuberung der Gehege zu machen. Einfacher gesagt, als getan, weil der Kot der Tiere wegen der tiefen Temperaturen regelrecht am Boden festgefroren ist. Um doch zumindest das Gröbste zu entfernen und nicht die ganze Arbeit den Wärterinnen und Wärtern der kommenden, wärmer werdenden Tage aufzulasten, bearbeitet Ruedi die Kot-Eisflächen mit dem Rechen. Nachdem ich die losgelösten Stücke mit einem Laubbläser zu Haufen zusammengeblasen habe, lädt Ruedi sie mit einer Schaufel in seine Garette und rollt sie zum Kompost.


Ins Hirschgehege gehen wir ohne Laubbläser. Zwar befindet sich Männchen «Rudolf» schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Brunft-Zeit, dennoch ist es laut Ruedi bei menschlichem Besuch jeweils recht angespannt. Das maschinelle Dröhnen würde ihn nur zusätzlich reizen. Deswegen lockt Ruedi den Hirsch mithilfe des Futternapfs in einen abgetrennten Teil des Geheges und sperrt ihn dort vorübergehend ein. Zügig machen wir uns mit den Rechen ans Werk. Den Hirschkühen und -kälbern scheint unsere Anwesenheit herzlich egal zu sein. Noch während ich das Heu in ihren Futtertrog stopfe, fangen sie auf der anderen Seite an zu fressen.

Nur mit Laubbläsern und Heu nachfüllen ist es im Gehege des Steinwilds nicht getan. Hier müssen zudem die Tannenbäume, die den Tieren als Futterquelle und Schlagbaum dienen, ersetzt werden. Die von gestern sind bereits mitsamt Rinde abgenagt. Während sich die älteren Steinböcke und -geissen gleich auf ihre neuen Spielzeuge stürzen, schauen uns die Jungtiere lieber beim Arbeiten zu.
Von einer Eingeborenen und einer Zuzügerin
Ähnlich zutraulich ist zumindest eine der beiden Gämse des Tierparks. Sie wurde hier geboren, kennt die Menschen hier seit Jahren und begrüsst uns schon, als wir ihr Gehege betreten. Anders ihre Artgenossin: Diese zügelte letztes Jahr vom Tierpark Dählhölzli hierher. Während die Eingeborene uns die ganze Zeit über um die Beine herumscharwenzelt, versteckt sich die Zuzügerin hinter allem ihr zur Verfügung Stehenden und kommt erst heraus, nachdem wir ihr Gehege wieder verlassen haben.


Nachdem nun alle Tiere gefüttert und die Gehege zumindest semi-sauber sind, ist es Zeit für die Znüni-Pause. Bei Kaffee, Tee und Schoggiguetzli berichtet uns Ruedi aus seinen fünf Jahren als Helfer beim Wildpark Brienz. Dabei erzählt er uns, dass der Hirsch-Stier sein Liebling ist und das nicht nur, weil sie denselben Namen haben. Und dass selbst mit seiner langjährigen Erfahrung mal was schiefgehen kann.


Schöne Bescherung Es weihnachtet. Zeit, sich selbst zu beschenken. So denken auch unsere Redaktorinnen und Redaktoren, weshalb sie sich an neue Erfahrungen wagen und in unbekannte Welten eintauchen. Viel Spass beim Lesen und Miterleben!