Was hat sich in der Krebsforschung getan? Was bedeutet die Diagnose Krebs, und wie wichtig ist eine heimatnahe Betreuung für Krebspatienten? Chefarzt Dr. Ueli Güller und sein Stellvertreter Dr. Christoph Ackermann von der Onkologie- und Hämatologie-Praxis geben Antwort.

In dem omnipräsenten und für einige auch überpräsenten Thema Covid-19 gehen andere wichtige Themen mehr oder weniger unter. Etwa die Flüchtlingskrise, die Klima-Debatte und sogar die Nicht-Wiederwahl von Ex-US-Präsident Donald Trump wurde innert kürzester Zeit von den neuesten Corona-News verdrängt, ganz zu schweigen von anderen, weitaus tödlicheren Krankheiten. Fast könnte man meinen, dass neben der aktuellen Pandemie keine anderen Krankheiten mehr bestehen. In der Übermacht des Covids geht selbst eine leider so häufig auftretende und leider so häufig tödlich endende Krankheit wie Krebs im Bewusstsein der meisten Nicht-Direkt-Betroffenen unter.
Trotz jahrelanger Forschung und immer wirksameren Therapien steigt die Anzahl Neuerkrankungen stetig, und Krebs ist noch immer eine der häufigsten Todesursachen. In der Schweiz ist es gemäss des Bundesamts für Statistik sogar die häufigste Ursache für eine vorzeitige Sterblichkeit. Da könnte man sich fragen, was bringt dieser scheinbar aussichtslose Kampf überhaupt?

Viel, wenn man Prof. Dr. Ueli Güller und Dr. Christoph Ackermann vom Onkologie- und Hämatologiezentrum des Spitals Thun fragt. Beide haben im Januar 2020 die Leitung des Zentrums übernommen, Prof. Dr. Güller als Chefarzt und Dr. Ackermann als stellvertretender Chefarzt. «Dass Krebs noch immer eine der häufigsten Todesursachen ist, ist die Glas-Halb-Leer-Perspektive», so Güller. Er sei dagegen eher der Glas-Halb-Voll-Denker. «Tatsache ist, dass die Sterblichkeitsrate bei fast allen Tumoren deutlich abnimmt.»
Drei Monate oder fünf Jahre
Als Beispiel nennt Güller etwa den Schwarzen Hautkrebs mit Ablegern: «In meinen Anfängen als Assistenzarzt um die Jahrtausendwende starben die meisten Patienten innerhalb von drei bis sechs Monaten.» Die Diagnose kam für die meisten Patienten trotz Chemotherapie quasi einem bald vom eigenen Körper vollstreckten Todesurteil gleich. «Heute leben dank des Fortschritts der Immuntherapie nach fünf Jahren im Schnitt noch 50 Prozent der Patienten mit metastasiertem Schwarzen Hautkrebs.» Diese Entwicklung verkörpere eine «onkologische Revolution». Ähnlich positive Tendenzen gebe es auch bei anderen Krebsarten mit Ablegern, etwa bei Lungen-, Brust-, Darm- und Prostata-Krebs.

Bei einer Krebs-Diagnose muss man also nicht gleich seinen Kopf auf den Richtblock des Scharfrichters legen. Stattdessen seien immer mehr Krebsarten heilbar, und bei Patienten, die an nicht heilbaren Krebsleiden erkrankt seien, könne die Lebenserwartung durch neue und effizientere Therapien zunehmend häufig deutlich verlängert werden, so Güller. «Krebs wird immer mehr zur chronischen Krankheit wie etwa ein hoher Blutdruck.» Auch diesen könne man nicht heilen, aber mit einer täglichen Tablette langjährig kontrollieren. «Einen ähnlichen Weg geht man mit den Tumor-Erkrankungen.»

Bei Vorliegen einer unheilbaren Krebssituation verkörpere die Verlängerung der Lebensdauer nur einen integrativen Teil der therapeutischen Zielsetzung, so Ackermann. «In unheilbaren Tumorstadien hat die möglichst lange Erhaltung der Lebensqualität oberste Priorität. Im Weiteren steht die Kontrolle allfälliger Symptome und schliesslich die Verlängerung der Lebenszeit im Zentrum.»

Um eine heimatnahe onkologische Betreuung für betroffene Patientinnen und Patienten zu ermöglichen, hat sich die Spital STS AG entschlossen, einen zweiten Behandlungsstandort in Spiez zu eröffnen. Dr. Christoph Ackermann leitet die am 2. Februar eröffnete Praxis.

Laut Güller wohnen etwa 25 Prozent der onkologischen Patienten der Spital STS AG im Einzugsgebiet um Spiez. «Mit diesem neuen, wohnortsnahen Standort können wir diese besser betreuen.» Aufgrund der Therapien sind nicht selten die Krebs-Patienten von Müdigkeit und Unwohlsein geplagt. «Wenn wir ihnen einen möglichst kurzen Anfahrts- oder sogar Gehweg bieten können, ist das natürlich ein Segen für betroffene Patientinnen und Patienten.»

In der neuen Praxis soll den Patienten dieselbe Behandlung wie auch im Onkologie- und Hämatologiezentrum im Spital Thun geboten werden. Darum sei in Spiez dasselbe Team wie in Thun im Einsatz, so Güller. «Ein Team mit gleich hoher Behandlungsqualität an zwei Standorten. Das ist unser Ziel.» Bezüglich der Infrastruktur und dem Vor-Ort-Angebot gebe es natürlich einige Unterschiede. «Wir wollten hier ja kein zweites Zentrum aufmachen, aber dadurch, dass wir das Spital Thun im Rücken haben, können auch die Patientinnen und Patienten hier in Spiez von dem dortigen Angebot und der Zusammenarbeit der vielen Spezialisten profitieren.»

Auf eine standorteigene Apotheke wollte man in Spiez jedoch nicht verzichten. Eine eigene Apotheke zur Zubereitung von Krebsbehandlungen sei eine grosse Bereicherung für die Patienten, so Ackermann. «Dadurch können wir unsere eigene Chemo-, Immun- oder Hormontherapie direkt vor Ort zubereiten.» So müssten Patienten kaum auf die geplante Therapie warten, denn mit deren Zubereitung werde bereits während der Sprechstunde begonnen. «Wenn ich eine Patientin oder einen Patienten in den Therapieraum begleite, ist die Therapie meistens schon fast fertig und bereit zur Verabreichung.»


Ein weiterer Grund für den neuen Standort in Spiez seien die steigenden Patientenzahlen, so Ackermann. Das natürlich nicht nur im Oberland. «Krebs stellt weltweit eine grosse Herausforderung dar.» Für die steigenden Patientenzahlen sieht Ackermann verschiedene Gründe. «Zum einen werden durch die immer bessere Diagnostik immer mehr Krebs-Erkrankungen früher entdeckt.» Dadurch gebe es zwar zahlenmässig mehr Patientinnen und Patienten. Da die Erkrankungen aber auch früher entdeckt würden, hätten viele Patienten zunehmend bessere Heilungschancen.
Zum anderen würden die Therapien immer besser werden, was in einer längeren Lebensdauer der Patientinnen und Patienten resultiere. Schlussendlich führt auch die steigende Lebenserwartung in der Gesellschaft zu einer steigenden Zahl an Menschen, welche im Verlauf ihres Lebens an einem Krebsleiden erkranken würden.