Gina Krückl

Reporterin

Der Herr der Schmetterlinge

Seit über 20 Jahren züchtet der Berner Papa Papillon die wohl beliebtesten Insekten überhaupt. Unter seiner Aufsicht haben sie nicht nur eine 40 Mal grössere Wahrscheinlichkeit zu überleben, sondern werden vielleicht sogar zu Filmstars.

Ein Schwalbenschwanz-Weibchen läuft über die Hand von Papa Papillon.

Etwas unruhig trippelt sie mit ihren langen, schwarzen Beinen über den grauen Stoff, dreht sich in alle Richtungen und flattert dabei leicht mit den Flügeln. Dann bleibt sie stehen, anscheinend zufrieden mit diesem ersten neuen Ort, den sie seit Verlassen ihres Geburtshauses erkunden darf. Mit weit ausgebreiteten zum Abflug bereiten Flügeln steht sie da und putzt sich mit ihrem vordersten Beinpaar das Gesicht.

Sie ist ein Schwalbenschwanz-Weibchen. Der graue Stoff gehört zum Shirt des Berners Marc de Roche, besser bekannt als «Papa Papillon». Er hat sie aufgezogen, seit sie ein kleines Schmetterlings-Ei war und lässt sie jetzt fliegen. So wie dieses Schwalbenschwanz-Weibchen hat Papa Papillon bereits Tausende, wenn nicht eher Zehntausende Schmetterlinge aufgezogen.

Seit über 20 Jahren züchtet der Berner Marc de Roche, besser bekannt als Papa Papillon, Schmetterlinge.
Vom Computer zum Aerarium

Zur Schmetterlings-Zucht kam Papa Papillon eher zufällig. Als Journalist und Inhaber eines Informatikgeschäfts beschäftigte er sich um die Jahrtausendwende herum eher mit der Digitalisierung denn mit der Natur. Als er dann aber auf einem Spaziergang an einem nahen Waldrand einige schwarze Raupen fand, nahm er sie mit zu sich nach Hause. «Wir hatten in unserem Garten immer Brennnesseln und ich wusste, dass diese Pflanze vielen Raupen als Futterpflanzen dienen.» Doch als er am nächsten Tag nach ihnen schauen wollte, waren die Raupen verschwunden.

«Ich war ganz schön sauer und habe in Schmetterlings-Foren im Internet nach Antworten gesucht», so Papa Papillon. Die hatte er innerhalb weniger Stunden gefunden: Laut einem Züchter aus Israel waren die Brennnesseln zu nah an der Strasse und dadurch mit Dieselpartikeln belegt. «Daran verbrennen sich Raupen das Maul.» Also setzte er die nächste Gruppe eingesammelter Raupen auf den Brennnesseln hinter seinem Haus aus und dort gab es wenig später die ersten 60 Tagpfauenaugen.

Ein Schwalbenschwanz hat sich auf seinem ersten Flug ausserhalb des Aerariums leider etwas verflogen. Da hilft Papa Papillon gerne ein bisschen auf die Sprünge.

Begeistert vom Zuchterfolg baute Papa Papillon in seinem Garten eine kleine Zuchtanlage. Da er aber durch sein Geschäft nur wenig Zeit hatte, erlaubte er den Nachbarskindern, die Raupen zu füttern. «Die Kinder haben es ihren Freunden erzählt, die ihren Freunden und irgendwann stand ein Lehrer mit einer ganzen Schulklasse in meinem Garten.» Deswegen beschloss er, seine Zuchtanlage auszulagern und baute sie 2001 auf dem Gurten an. Fast zehn Jahre war er auf dem Stadt-Berner Hausberg – gewann Öko-Preise und gab aufgrund seines Erfolgs sogar sein Informatikgeschäft auf – bevor er für seine Zuchtanlage einen Gemeinschaftsgarten näher an seinem Haus suchte.

Schauspieler gesucht

Seit über 20 Jahren züchtet Papa Papillon Schmetterlinge, gilt mittlerweile als eine Koryphäe auf dem Gebiet und ist auch über die Szene hinaus bekannt wie ein bunter … Schmetterling. Er schreibt Zuchtanleitungen und gibt Vorträge über Schmetterlinge und deren Aufzucht oder stellt seine Lieblinge für Hochzeiten, Operneröffnungen, Werbe- und Filmdrehs zur Verfügung. «Wenn man in der Schweiz oder Europa in Film oder Fernsehen einen Schmetterling sieht, kommt er zu 90 Prozent von mir.»

Schmetterlinge auf Kommando fliegen und sich setzen zu lassen, ist offenbar genauso schwierig, wie man sich das vorstellen würde. «Schmetterlinge zu trainieren ist fast unmöglich, sie machen grundsätzlich, was sie wollen», so Papa Papillon. Deswegen brauche dieser Teil des Jobs vor allem sehr viel Geduld. «Zu Drehs gehe ich immer mit ein paar Dutzend Schmetterlingen und lasse sie fliegen, bis es einer genau so macht, wie es der Regisseur will.»

Da es schon relativ warm ist, sind die ausgewachsenen Schmetterlinge ganz hibbelig und können es kaum erwarten davonzufliegen, um sich in einer anderen Population einen Partner zu suchen.

Eine zweite Herausforderung: Die Anfragen halten sich in der Regel selten an den Lebenszyklen der Schmetterlinge. «Manchmal habe ich einfach keine, weil die Anfrage mitten im Winter kommt.» In diesen Fällen lasse er tropische Schmetterlinge einfliegen – wenn auch ungern. «Viele tropische Schmetterlinge sind grösser, schöner, farbiger. Aber unsere Einheimischen sind bedroht, deshalb will ich meine Zeit und Energie auf sie fokussieren.»

Der Herr der Schmetterlinge: Papa Papillon erzählt von seiner Zucht und warum er sich aktuell mit den Bärenspinnern befasst.
Kein leichtes Leben

Laut dem Bundesamt für Umwelt gibt es in der Schweiz rund 3700 Arten von Schmetterlingen. Gemäss Papa Papillon sind rund 70 Prozent davon bedroht. Die Hauptschuld daran trägt wenig überraschend der Mensch. Zum einen ist da der Klimawandel, der die Schmetterlinge aus ihren angestammten Habitaten in andere Klimazonen vertreibt. Gleichzeitig rauben wir den Schmetterlingen mit unseren Betonierungen und veränderten Anbau-Gewohnheiten die Nahrungsgrundlage.

«Früher konnte ein Schwalbenschwanz-Weibchen von Garten zu Garten fliegen und fand fast in jedem davon ein paar Rüebli, um darauf seine Eier abzulegen.» Heute sind die nächsten Rüebli nicht selten Kilometer weit entfernt. «Wenn wir nichts unternehmen, werden bestimmte einheimische Arten in ein paar Jahren ausgewandert oder sogar ausgestorben sein.»

Der Gewürzfenchel ist eine der Lieblingspflanzen vom Schwalbenschwanz und einigen anderen Schmetterlingsarten, weswegen Papa Papillon ihn grossflächig in seinem Teil des Gartens anbaut.

Doch auch die Natur macht es den Schmetterlingen nicht gerade leicht. Raupen stehen auf der Nahrungskette ziemlich weit unten und zählen Vögel, Fledermäuse, Igel, Eidechse, Käfer und sogar Ameisen zu ihren Fressfeinden. Laut Papa Papillon legt ein Schwalbenschwanz-Weibchen rund 120 Eier. Üblicherweise schlüpfen aus denen etwa 50 Raupen, von denen sich zehn verpuppen, aus denen dann zwei Schmetterlinge schlüpfen. Und genau hier greift der Herr der Schmetterlinge ein. «Bei mir gibt es aus 120 Eiern mindestens 80 Schmetterlinge.»

Von unkomplizierten Füchsen und verwirrten Bären

Wenn er anderen empfiehlt, es ihm gleichzutun, spricht Papa Papillon fast immer vom Schwalbenschwanz. Zum einen, weil diese Art, wie viele andere, die geschützte Aufzucht wirklich brauchen kann, hauptsächlich aber, weil seine Zucht, ähnlich wie beim Kleinen Fuchs oder beim Tagpfauenauge, unkompliziert ist. Als erfahrener Schmetterlings-Züchter kümmert sich Papa Papillon allerdings auch um andere Arten. Im Moment wären da etwa die Bärenspinner.

Nur eine der vielen Bärenspinner-Kokons, die bei Papa Papillon überwintern.

Wie andere Nachtfalter hat der Braune Bär laut Papa Papillon noch ein zusätzliches Problem mit den Menschen: die vielen Lichter, die wir in der Nacht brennen lassen. «Taghelle Tankstellen, Flutlicht-Anlagen in den Stadien, Strassenbeleuchtung: Das tötet jede Nacht Tausende von Insekten.» Nachtfalter würden sich anhand des Mondlichtes orientieren und durch die zusätzlichen Lichtquellen verwirrt werden. «Sie fliegen nicht in die Lampen und sterben, sondern fliegen die ganze Nacht um die Lampen herum und liegen am nächsten Morgen todmüde auf dem Boden.» Wo sie dann zum Futter von Vögeln, Eidechsen und Co. werden. Um das zu verhindern, sammelt Papa Papillon die Schmetterlinge jeweils frühmorgens ein, nimmt sie mit in seine Zuchtanlage und päppelt sie auf.

Fortsetzung folgt
Das war nur ein Teil von dem, was Papa Papillon aus seinem gut 20-jährigen Erfahrungsschatz zu berichten weiss. Gerade bei Schmetterlingen gibt es einige Mythen, Legenden und vor allem weit verbreitetes Falschwissen, das es zu widerlegen gilt. Was der Herr der Schmetterlinge sonst noch so zu erzählen hat, können Sie in einem zweiten Artikel lesen, welcher in nächster Zeit publiziert wird.

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