Andrea Scherz wuchs praktisch in einem der besten Fünf-Sterne-Betriebe der Schweiz auf. Kein alltägliches Leben, doch auch keines, das der Hotelier missen möchte. Denn das Gastgeben liegt ihm im Blut und ist nur einer der Gründe, weswegen er seit Anfang Jahr der neue Chef von «Leading Hotels of the World» ist. Beim Besuch dieser Zeitung plaudert er aus dem Nähkästchen.

Aspen, Kitzbühel, St. Moritz: Nur eine Handvoll mehr Namen können auf dieser Liste winterlicher Promi-Hotspots genannt werden, doch einer davon ist mit Sicherheit Gstaad. Auf einer Talebene auf rund 1050 Metern über dem Meer gelegen, lockt das Bergdorf mit seinem heimeligen Charme, seinem Wintersport-Angebot und seinem eigenen Flughafen jeden Winter Hunderte, wenn nicht gar Tausende der Schönen und Reichen ins Oberland. Nicht selten kommen sie im «Palace» unter. Dieser Ruf als Hotel der Schönen und Reichen passt Besitzer Andrea Scherz aber überhaupt nicht.
Laut Scherz reisen rund 80 Prozent seiner Gäste aus dem Ausland an. «Es ist sicher schön, dass wir international eine so gute Reputation geniessen, aber es war keine bewusste Entscheidung, sondern ist einfach so gewachsen.» Mittlerweile habe er aber gemerkt, dass dieser Ruf nicht wenige Schweizerinnen und Schweizer abschreckt. Erst vor einigen Monaten hätte er ein Schweizer Paar kennengelernt und ihnen vorgeschlagen, mal einige Nächte im Palace zu übernachten. «Sie dachten, sie könnten doch unmöglich mit ihrem VW Passat hier vorfahren und hätten keine Kleider, die genug schick sind.» Gemäss Scherz kein Grund, dem Palace fernzubleiben. «Bei uns gilt das Motto: Kleider machen Leute, aber bei uns trägt man Jeans heute.» Gar alle Gäste sind im Palace aber nicht gerne gesehen. «Wir mögen die nicht, die nicht zu einer angenehmen, lustigen und entspannten Atmosphäre beitragen.»

Drei-Generationen-Scherz
Der Grund dafür, warum das Palace-Hotel vor allem international so beliebt ist, liegt sicher auch an seiner Mitgliedschaft im «Leading Hotels of the World», einem Verein von weltweit rund 400 Luxushotels, den es bereits seit den 1930er-Jahren gibt. Seit Anfang Jahr ist Scherz wie schon zuvor sein Vater Ernst Andrea Scherz von 1973 bis 1989 Vereinspräsident. Wie lange das Palace bereits Mitglied ist, ist nicht eindeutig belegt. «Uns fehlen die ersten paar Mitgliedsverträge, aber wir schätzen, dass mein Grossvater Ernst Scherz den ersten Vertrag Mitte der 50er-Jahre unterschrieben hat.» 1968 gab er das Geschäft an seinen Sohn Ernst Andrea, der das Hotel und dessen Reputation weiter ausbaute und die Direktion schliesslich 2001 an seinen Sohn und den heute amtierenden Andrea Scherz weitergab.
Obwohl Andrea Scherz wortwörtlich ins Hotelier-Business hineingeboren wurde, standen ihm alle Türen offen. «Mein Vater hat mir immer gesagt, dass ich machen soll, was mich glücklich macht. Er wäre auch zufrieden gewesen, wäre ich zum Beispiel Strassenreiniger geworden.» Daraus wurde dann doch nichts, denn mit Ausnahme eines kurzen Abstechers als Schnupperstift bei Cartier blieb Scherz der Hotellerie treu. Und verliess dafür sein Zuhause. Er ging an die renommierte Hotelfachschule EHL in Lausanne, machte sogar ein Praktikum auf Honolulu. Doch 1996 zog es ihn wieder zurück in die Heimat. Nach Gstaad und ins Palace. Laut eigener Aussage gab es für diese Rückkehr drei Motivationspunkte.

Gstaad, das Palace und die Abwechslung
Erstens: «Ich liebe Gstaad, es ist mein Zuhause, und ich fühle mich hier wohl», beginnt Scherz. Wann immer möglich, verbringe er Zeit in der Natur, sei es mit Skifahren oder Mountainbiken. Zweitens: «Ich bin im Palace aufgewachsen.» Zwar hätten sie nicht direkt darin gewohnt, allerdings unweit davon entfernt, weswegen er jeweils vor und nach der Schule daran vorbeilief. Zudem sei das Palace eines der grossen Themen bei ihm zu Hause gewesen. «Ich bin mit dem Hotel aufgewachsen und habe eine Art Liebesbeziehung zum Palace aufgebaut.» Drittens: «Ich mag keine Monotonie, und als Hotelier im Palace ist kein Tag wie der zuvor.»

Wenn jeder Tag im Leben einzigartig ist, fällt es im Nachhinein schwer, die besonderen herauszusuchen. Dennoch sind Scherz einige in Erinnerung geblieben. «Ich durfte in meinem Leben schon viele aussergewöhnliche Menschen kennenlernen, etwa Michael Jackson oder Roger Moore.» Letzterer hätte beim Apéro mit Scherz‘ Eltern statt Apéro zu trinken lieber mit dem damals noch kleinen Andrea Eisenbahn gespielt. Oder sein Flug rund ums Matterhorn mit Margaret Thatcher. «Sie wollte sichergehen, dass der Flug sicher ist, und bestand darauf, dass ich mitkomme.»

Vor- und Nachteile im Leben im Irrenhaus
Als Hotelier erlebt man aber auch weniger Erfreuliches. So berichtet Scherz von Scheidungen, Alkoholikern und sogar von Selbstmordversuchen und Messerattacken. «Ein Hotel ist wie eine Pfanne, in der man Sauce reduziert.» Das Leben darin werde reduziert und verstärkt. «Ab und zu kann es im Palace schon zu und hergehen wie in einem Irrenhaus.» Deswegen sei er auch froh, dass er nicht darin, sondern wenigstens in der Direktions-Wohnung gleich nebenan wohne. «Für meinen Geschmack ist es zwar noch immer ein bisschen zu nahe, weil man dem Geschehen im Hotel fast nicht entfliehen kann, aber es hat auch Vorteile.» So könne er sich auch an seinem freien Tag schnell mal was aus der Hotelküche zum Essen bestellen. Spätestens in der Pension will er aber etwas weiter von dem «Irrenhaus» wegziehen.

Mit seinen 53 Jahren denkt Andrea Scherz vorerst noch nicht ans Aufhören. Die vierte Generation der Scherzes steht aber bereits in den Startlöchern. Alexandre Scherz (21) ist an der Hotelfachschule, Sabrina Scherz (20) studiert Psychologie. «Ich weiss nicht, was man heutzutage mehr braucht, um ein Hotel zu führen.» Ob einer oder sogar beide Junior-Scherzes das Familiengeschäft übernehmen, ist noch offen. «Sie müssen natürlich wollen, aber bisher sind beide zumindest nicht uninteressiert.» Doch es gibt noch einen zweiten Faktor, den Scherz nicht ausser Acht lassen wird. «Ich muss davon überzeugt sein, dass sie es auch können.» Denn wie schon Ernst Andrea Scherz zu seiner Zeit sagte: «Es wird kein Scherz sein, der dieses Hotel zugrunde richtet.»
Die abenteuerliche Geschichte, wie das Palace in den Besitz der Familie Scherz kam

Das Palace gibt es bereits seit Dezember 1913. Damals gehörte es noch nicht der Familie Scherz, doch das sollte sich gut vier Jahrzehnte später ändern. Grossvater Ernst Scherz ging schon früh in die Hotellerie. Er arbeitete sich hoch und schaffte es schliesslich zum Direktor im Carlton in St. Moritz. Geträumt hat er aber immer vom Palace. Das erste Mal sah er das Hotel beim Weihnachtslied-Singen als Pfadfinder auf dem hiesigen Dorfplatz. Als dann 1938 ein Direktor-Ehepaar fürs Palace gesucht wurde, fuhr er mit seinem Auto in St. Moritz los. Eine halbe Weltreise und zwei Reifen-Pannen später hatte er den Job.
Ein Parkplatz voller Hühner, Karotten und Kartoffeln
Ein Jahr später begann der Zweite Weltkrieg. Während Ernst Scherz die Grenzen verteidigen musste, führte seine Frau Silvia Scherz-Bezzola das Hotel. Dort, wo heute der Parkplatz ist, hat sie Hühner gehalten, Kartoffeln und Karotten angebaut und so versucht, die wenigen Gäste zu ernähren, die sie noch hatten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollten die Besitzer das Hotel so schnell wie möglich loswerden, und Ernst Scherz witterte seine Chance.

Eine halbe Million Franken sollte das Palace damals kosten. Einen Betrag, den Ernst Scherz alleine unmöglich aufbringen konnte. Deswegen gründete er gemeinsam mit Freunden und Gästen eine Aktiengesellschaft und rang jedem Einzelnen das Versprechen ab, die Aktien so bald als möglich zum Originalpreis zurückkaufen zu können. Diese werden wohl wenig dagegen gehabt haben, denn seit seiner Eröffnung steckte das Palace in der Misere.
Doch mit einer neuen Marketing-Strategie wendete sich das Blatt. Mit seinem letzten Geld holte Ernst Scherz die Stars wie etwa Louis Armstrong nach Gstaad, und die Gäste aus ganz Europa folgten sogleich. Nach und nach kaufte er die Aktien wieder zurück, bis ihm Ende der 70er-Jahre schliesslich das gesamte Palace gehörte.
