Nach langem Kampf machte am Samstag der letzte Regionalzug einen Halt in der kleinen Gemeinde zwischen Spiez und Interlaken. Trotz des traurigen Anlasses gab es eine feierliche Verabschiedung.

Lange wurde darüber debattiert, gestritten und gekämpft, nun ist es endgültig vorbei: Am Samstagabend hielt zum letzten Mal ein Zug im Bahnhof Leissigen. Wobei das nicht ganz korrekt ist – auch in Zukunft wird die Bahn noch in dem kleinen Städtchen anhalten. Dabei werden die Türen aber geschlossen bleiben, da künftig die Züge in Leissigen nur noch halten werden, um zu kreuzen. Für viele Anwohnerinnen und Anwohner ein Schlag ins Gesicht. Auch für Beat Steuri, Präsident der IG Leissigen Futura.

«Es ist fast schon skandalös, dass man eine gesamte Gemeinde von der Bahn abnabelt», so Steuri. Das sei besonders nach 127 Jahren Bahnanbindung besonders schwierig. «Und wir werden nun auf die A8 geschickt, auf der 20 Prozent der Zeit Stau herrscht und man teilweise stundenlang nicht mehr aus Leissigen kommt.»
Gut zwei Dutzend Leissigerinnen und Leissiger kamen zusammen, um sich gebührend von ihrem Bahnverkehr zu verabschieden – trotz der Kälte und trotz Corona. Bisher blieb der Abend glücklicherweise noch trocken. Um 18.45 Uhr treffen die ersten Trauergäste ein, an sie verteilen Mitglieder der IG Leissigen Futura schwarze Masken als Zeichen der Trauer.

Doch Trauer sucht man in den Gesichtern vergeblich – nicht nur wegen den Masken. Stattdessen erfreut sich ein Grossteil der Anwesenden an dem Aufwand, den die IG für das Abschiedsfest betrieben hat. Etwa, dass die beiden letzten in Leissigen haltenden Züge offiziell von der BLS auf der Anzeigetafel am Bahnhof verabschiedet werden: Bei beiden steht «Bye Bye Regionalzug».

Während die Leissigerinnen und Leissiger auf dem bald nutzlosen Gleis 4 auf den letzten Zug Richtung Interlaken warten, ertönt ein Gebimmel von Richtung Kirche. Da diese aber erst vor wenigen Minuten 19 Uhr geschlagen hat und das Gebimmel näher zu kommen scheint, ist schnell klar, dass es sich hierbei nicht um Kirchenglocken handelt. Stattdessen laufen vier Treichler den Weg zum Bahnhof hinauf und schwingen dabei ihre Glocke. Im Gleichschritt laufen sie über den Bahnsteig und bahnen sich mit fast ohrenbetäubendem Gebimmel einen Weg durch die wartende Menge. Nach einer weiteren Runde fährt um 19.14 Uhr auch schon der Zug ein. Die Wartenden steigen ein und machen sich auf den Weg nach Interlaken – ein letztes Mal noch.

Obwohl die Glocken nun still sind, ist es für eine Feierabendfahrt vergleichsweise laut. Ein ganzer Wagon ist mit sich bekannten Leissigerinnen und Leissigern gefüllt: Vereinsmitglieder, Nachbarn, Freunde. In den Gesprächen rund um Kinder, Gesundheit und die Weihnachtszeit geht das leise Rasseln der gegen die Fenster prallenden Regentropfen unter. Auch als der Zug um 19.23 Uhr in Interlaken West ankommt und die Leissigerinnen und Leissiger aussteigen, verstummen die Gespräche erst, als die vier Treichler wieder beginnen ihre Runden zu drehen.

Um 19.33 Uhr ist es soweit: Der letzte Zug der jemals in Leissigen halten (und Leute einsteigen lassen) wird, fährt ein. Der vorderste Wagon ist für den Trauerzug reserviert. Über seine Anzeigetagel läuft der Schriftzug «12.12.20 Letzter Halt in Leissigen» und auch an seiner Seite ist ein Kleber mit der Aufschrift «1893 -2020 letzter Halt in Leissigen» angebracht.

Quelle: zVg

«Wir haben einen guten Draht zur BLS», erklärt Steuri die Überraschungen des Anlasses. Diese seien natürlich abgesprochen und die Erlaubnis eingeholt worden. Ein letztes Mal wird dieses gute Verhältnis ersichtlich, als der Zug bei seinem offiziell letzten Halt in Leissigen, nicht nur kurz anhält, um die Passagiere in den mittlerweile strömenden Regen aussteigen zu lassen, sondern der Zugchauffeur sogar aus seiner Kabine steigt, um sich persönlich von Steuri und den Leissigern zu verabschieden. Schirme werden aufgespannt und Kameras und Natels gezückt. Dann steigt der Chauffeur wieder ein und fährt davon.

Noch ist der Kampf für die IG aber nicht zu Ende: «Wir werden uns auch weiter mit den Anliegen der Leissigerinnen und Leissiger befassen», so Steuri. Etwa mit der Umsetzung der geplanten Kreuzungsstellen. «Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese einigermassen verträglich umgesetzt wird und Leissigen nicht durch einen zwei Meter hohen und 14 Meter breiten Damm in zwei Teile getrennt wird.»
