Gina Krückl

Reporterin

«Ich habe schon alles erlebt»

Seit 18 Jahren ist Jürg Zeller der Aufseher der Tierkörpersammelstelle Thun und nimmt seither dreimal die Woche Tierkadaver von Landwirten, Tierärzten, Metzgern und Privatpersonen entgegen. Bei diesem Job braucht er nicht nur eine stählerne Nase, sondern auch viel Einfühlungsvermögen. Doch nach so langer Zeit kann Zeller fast nichts mehr aus der Fassung bringen.

Erst auf den zweiten Blick erkennt man, was sich im Gebäude der Tierkörpersammelstelle Thun verbirgt.

Fährt man die Uttigenstrasse in Thun entlang, fällt einem das direkt daran gelegene Häuschen kaum auf. Zum einen geht es fast unter zwischen all den Bäumen und dem Grünzeug, die es umgeben. Auch die für das kleine, flache Gebäude eigentlich überdimensionierte Beschriftung verschwindet halb hinter den davorstehenden Büschen. Spätestens aber, wenn man sich den grossen Stahltüren auf wenige Meter genähert hat und der unangenehme und leicht modrige Geruch, der aus dem Inneren herausdünstet, einem in der Nase beisst, weiss man, wo man ist: der Tierkörpersammelstelle Thun.

Einmal tief Luft holen

Während wohl die meisten vor Betreten des Gebäudes lieber noch mal tief Luft holen, hat der Aufseher der hiesigen Sammelstelle Jürg Zeller mit dem gewöhnungsbedürftigen Geruch keine Probleme. Hatte er nie. Bereits seit 18 Jahren macht er diesen Job, dessen Ausübung wohl für die meisten gerade wegen dieses allgegenwärtigen Gestanks des Todes völlig undenkbar wäre. Doch dem Sammelstellen-Aufseher wurde sein nur schwer zu schockierender Geruchssinn buchstäblich in die Wiege gelegt.

Seit 18 Jahren ist Jürg Zeller der Aufseher der Tierkörpersammelstelle Thun.

Hauptberuflich arbeitet Zeller in der Gerberei Zeller, einem Steffisburger Familienbetrieb, den es bereits seit 1837 und fünf Generationen gibt. Als Gerber verarbeite er Tierhäute, womit seine beiden Jobs in die gleiche Richtung gehen, so Zeller. «Nur dass hier in der Tierkörpersammelstelle die Tiere meist noch ganz sind.» Seit nun fast zwei Jahrzehnten steht er dreimal die Woche – jeweils montags, mittwochs und freitags von 10.00 bis 11.30 Uhr – in der Tierkörpersammelstelle Thun bereit und nimmt die Kadaver und Metzgereiabfälle aus insgesamt 19 Gemeinden an. Und dabei kommt einiges zusammen.

Jedes Jahr werden in der Tierkörpersammelstelle Thun über 100 Tonnen an Tierkadavern und Metzgereiabfällen gesammelt.
Sobald die Container nicht mehr leer sind, schwirren Dutzende Fliegen über ihnen herum.

Jedes Jahr bringen Metzger, Bauern, Tierärzte und Privatpersonen aus der Region Zeller über 100 Tonnen Arbeit. Dazu kommen die gut 70 Tonnen, die direkt von Metzgereien und Höfen abgeholt werden, da die Metzgereiabfälle oder einzelnen Kadaver schlicht zu gross wären, um sie in der Tierkörpersammelstelle Thun zwischenzulagern. Am Schluss landet alles am selben Ort: in der Verbrennungsanlage des GZM-Extraktionswerks in Lyss.

Tierkörpersammelstelle Thun: Aufseher Jürg Zeller erklärt, was seine Arbeit ausmacht.
Die schwierigen Tage

Zeller mag seinen Nebenjob. Besonders wegen der vielen Menschen mit ihren unterschiedlichsten Geschichten, die er dabei zu sehen bekommt. Doch wie überall gibt es auch hier einige Tage, bei denen einen der Job fast verleiden könnte. Für den Aufseher der Thuner Tierkörpersammenstelle sind es die Tage, an denen die Polizei, ein Wildhüter oder ein Wasenmeister seit seinem letzten Arbeitseinsatz einen Kadaver vorbeigebracht hat. «Wenn ein Tier bereits verwest ist, ist das wirklich kein schöner Anblick und es stinkt brutal.»

Wie immer hat Jürg Zeller auch an jenem Freitag viel zu tun.
Nachdem man etwas in die Tierkörpersammelstelle Thun gebracht hat, muss man ein Formular ausfüllen, welches dann zur Abrechnung an die jeweilige Gemeinde geht.

An diesem Freitagmorgen sind die Container der Tierkörpersammelstelle Thun noch leer. Es ist 9.00 Uhr und Zeller damit beschäftigt, besagte Container nochmals abzuspritzen, um den Geruch etwas abzuschwächen, der trotz ihrer Füllungslosigkeit aus ihnen herausströmt. Sobald er mit dem ersten fertig ist, stellt er das rollende Metallgestell zur Strasse hin vor die Tür, wo es auf seinen ersten Kunden wartet. In nicht mal einer Stunde wird dieser eintreffen.

Auch das regelmässige Abspritzen kann den Gestank des Todes nicht ganz aus den Containern entfernen.

Zum Job eines Tierkörpersammenstellen-Aufsehers gehört noch sehr viel mehr als nur eine stählerne Nase. Nicht zuletzt braucht man eine gute Menschenkenntnis und sehr viel Einfühlungsvermögen. «Ich merke mittlerweile sehr gut, wie es den Leuten geht, und weiss, wann ich keinen dummen Spruch machen sollte», so Zeller. Gerade für Personen, die soeben ihr geliebtes Haustier verloren haben, sei der Gang zu ihm meist sehr schwierig. «In so Fällen wollen sie meist schnell wieder weg, um mir nicht dabei zusehen zu müssen, wie ich ihr Tier in den Container lege.» Manche würden ihm vorher aber noch ein Abschiedsbrief, Blumen oder sogar ein kleiner Sarg mitgegeben. «Ich habe schon alles erlebt.»

Gerade bei Haustieren fällt der Abschied oft schwer.

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