Die Temperaturen werden langsam wärmer, aber noch herrscht in der Eiskletterarena reges Treiben. Vor Ort ist unter anderem Peter von Känel. In einem zweitägigen Kurs zeigt der erfahrene Eiskletterer die Grundlagen des nicht ungefährlichen Wintersports.

Der Himmel über der Engstligenalp ist wolkenbedeckt. Nur vereinzelt dringen Sonnenstrahlen durch die dichte Wolkendecke und wärmen die dick eingepackten Glieder der Wintersportler, die soeben aus der Kabine der Luftseilbahn Engstligenalp ins Freie geströmt sind.

Ein Grossteil schnallt sich Ski und Snowboards an und fährt in Richtung Schlepplift davon. Ein Paar läuft mit Schneeschuhen unterm Arm in Richtung Wildstrubel, ein anderes zum direkt neben der Bergstation gelegenen Mietcenter, um sich am Langlaufen zu versuchen. Das sind aber nicht die Wintersportler, die mich heute interessieren. Diese habe ich schon aus dem Fenster der Luftseilbahn-Kabine entdeckt.

Zwischen den nur mässig mit Schnee bedeckten Felsen fallen die gefrorenen Wasserfälle mit ihrer hellblauen Färbung sofort ins Auge. Und während man noch damit beschäftigt ist, die ungewöhnlichen Eisformationen und die teils meterlangen Eiszapfen zu bewundern, taucht auch schon die Bergstation im Augenwinkel auf. Und direkt daneben die Eiskletterarena. Über ein Dutzend Menschen haben sich auf dem Gelände verteilt, einige sitzen im Schnee, andere kämpfen sich mit langen Seilen gesichert und mit Eispickeln und Steigeisen bewaffnet die steilen Eiswände hoch.

Kaum bin ich nach einem kurzen und ohne Steigeisen etwas rutschigen Abstieg um die Eisarena herum am Fusse der Eiswand angekommen, kommen mir fünf Eiskletterer entgegen: der Bergführer Peter von Känel und seine heutigen Kursteilnehmer Livia, Lorenz, Gianna und Martina.
Peter von Känel gibt auf der Engstligenalp Kurse im Eisklettern.
Für die Gruppe ist es bereits der zweite Kurstag. Gestern lernten sie die Grundlagen des Eiskletterns und kletterten die Eiswände mit Toprope-Sicherung hinauf. Das heisst, dass das Seil oben an der Eiswand umgelenkt ist und der Kletternde durch seinen unter dem Eisfall am Boden stehenden Partner gesichert wird.

Heute sollen die Vier das Vorsteigen lernen. Das heisst, dass es keine Sicherung von oben gibt, sondern dass der Kletternde auf seinem Weg nach oben selber Zwischensicherungen im Eis anbringen muss. Darum dreht sich die nächste Lektion um das richtige Anbringen dieser Zwischensicherungen.

In voller Montur – also mit Helm, Steigeisen, Klettergurt und einer Handvoll daran befestigter Karabinerhaken, Expressschlingen und Eisschrauben – versammelt sich die Gruppe in einem Halbkreis um eine kleine Eiswand am äusseren Rand der Arena.

Den Dutzenden von Löchern nach zu urteilen, musste die Wand schon einige Male für diese Art von Übung herhalten. Hier zeigt Peter nun, wie er die richtige Stelle zum Setzen einer Eisschraube auswählt. Das Eis sollte möglichst dunkel und transparent sein. Weisses, undurchsichtiges Eis sei porös, und die Eisschrauben könnten bei zu grosser Belastung herausbrechen.

Was das Eis bei der richtigen Handhabung aushalten kann, zeigt der erfahrene Eiskletterer in der nächsten Lektion: Um fürs Abseilen nach dem Vorsteigen keine Eisschrauben zu opfern, seilt man sich an einer sogenannten Eissanduhr ab. Dabei bohrt man mit einer Eisschraube zwei horizontal nebeneinanderliegende Löcher in das Eis, die sich etwa in einem rechten Winkel treffen sollten. Durch das entstandene Loch wird nun das Seil mit einem Sanduhrfädler hindurchgezogen. Ich bin nicht die Einzige, die gegenüber dieser Abseilmethode etwas skeptisch dreinschaut.

Um uns vom Gegenteil zu überzeugen, veranstaltet der Kursleiter mit der Gruppe kurzerhand ein Tauziehen: Zu fünft zerren sie mit aller Kraft an dem Seil. Doch die Sanduhr hält. Noch hat sie aber nicht gewonnen. Mit seinem Eispickel «schwächt» Peter das Eis, schlägt immer mehr kleine Eisbrocken heraus, dennoch gibt sie weder bei der zweiten noch bei der dritten Runde nach.

Dann verkleinert er die Sanduhr, bis sie nur gerade noch den Querschnitt eines Fünflibers hat. Erst nach mehrmaligem kräftigem Ziehen durch die ganze Gruppe beginnt das Eis zu splittern. Schliesslich gibt die Sanduhr nach, und die Gruppe «fällt» in die Zwischensicherung, die der Kursleiter vorsorglich angebracht hat.

Genug Theorie. Während Livia und Martina zum ersten Mal ohne Toprope-Sicherung eine Eiswand erklimmen, werden sie von Gianna und Lorenz gesichert. Der Übung halber setzen die beiden ihre Zwischensicherungen viel enger, als dies üblicherweise gemacht wird.


Dabei werden sie von Peter genauestens beobachtet und immer wieder korrigiert, sei es bei der Wahl der Kletterroute oder aber bezüglich dem idealen Ort zum Setzen einer Sicherung. Denn obwohl alle Vier geübte Felskletterer sind, ist dieses Terrain für sie Neuland.

Dementsprechend zögerlich sind die ersten Schritte nach oben. Aber schon nach den ersten paar Höhenmetern werden die Bewegungen flüssiger, und in der Hälfte angekommen, seilen sich die beiden ab.


Jetzt sind die anderen beiden an der Reihe. Und während sich Gianna und Lorenz an den Vorstieg wagen, verabschiede ich mich von der Gruppe und mache mich an meinen eigenen Aufstieg hinauf zur Bergstation – auf einem sanft ansteigenden Trampelpfad in gebührendem Abstand zu den Eisrouten.