Mit «Day Zero» präsentiert die dreiköpfige Band aus Thun ein neues Video. Im Gegensatz zu ihren bisherigen Werken ist dieses aufwändiger, episch und düster. Wie sie sich auf den Dreh vorbereitet haben und was dabei trotzdem schiefging, erzählen Eliad Fiechter, Benjamin Bratch und Raphael Brunner im Interview.

Ein geräumiges Wohnzimmer, das durch eine Bar von der offenen Küche abgetrennt ist, grauer Fliesenboden, weiss verputze Wände, weisse Türen und eine grosse Fensterfront zum Balkon. Eine typisch moderne Drei-Zimmer-Wohnung in Thun. Schon beim Betreten der Wohnung ist offensichtlich, dass hier Musiker wohnen.
Subtile Musiker
Nicht etwa, weil der Wandschrank zum Mini-Studio umgebaut worden wäre oder sich auf dem Sofa ein nacktes Groupie seinen Rausch ausschlafen würde oder der hölzerne Esstisch mit leeren Pizzaschachteln, ausgetrunkenen Bierflaschen und gefüllten Cannabis-Beutelchen bedeckt wäre. Der Lifestyle der hier wohnenden Musiker ist etwas subtiler. An den Wänden hängen gerahmte CDs und Bilder von Auftritten, neben dem Fernseher stehen drei Trommeln, und auf der grau gestrichenen Trennwand zur Küche prangt das Logo der «Red Sticks».

Benjamin Bratch (23) und Eliad Fiechter (24) sind Cousins. Vor gut sechs Jahren lernten sie im Praisecamp, einem christlichen Jugendcamp, den Dritten im Bunde kennen, Raphael Brunner (27). «Ich hatte von den beiden schon gehört und wusste, dass sie wie ich gerne Schlagzeug spielen», erzählt Brunner. Also hätte er seine Sticks ausgepackt und angefangen, auf ihren Koffern zu trommeln. Kurz darauf stiegen Bratch und Fiechter ein, und das Trio trommelte so lange, bis ihre Hände offen und ihre Sticks rot von Blut waren. Die «Red Sticks» waren geboren.
Von Koffern zum «Toilet Jam»
Durch das Trommeln auf Koffern, Containern und diversen anderen Gegenständen im Camp fanden die Drei nicht nur einander, sondern auch ein Publikum. «Die Leute waren überraschenderweise wahnsinnig davon begeistert, dass wir auf Alltagsgegenständen herumtrommeln», so Brunner. Also entschlossen sie sich, ein Video zu drehen, wie sie genau das machen. Im Januar 2015 ging «Toilet Jam»
«Toilet Jam» von «Red Sticks»
Seither ist viel passiert. Nach dem Erfolg von «Toilet Jam» lieferten die «Red Sticks» noch im selben Jahr zwei weitere Videos und konnten so eine gewisse Berühmtheit erlangen. «Wir wurden immer häufiger für Auftritte angefragt, wodurch sich unser Kerngeschäft in den letzten Jahren verschoben hat», so Brunner. Im Schnitt traten die Jungs rund zehnmal pro Jahr auf, etwa an Geburtstagen, Firmenanlässen oder auch mal für eine Werbeaktion im Ikea oder zur Präsentation eines neuen Porsches im Porsche-Zentrum Bern.

Dank Corona zu «Day Zero»
Neben den Auftritten, Job und anderen Verpflichtungen blieb da immer weniger Zeit für den Video-Dreh. Bis zur Pandemie. Durch den Wegfall jeglicher Auftritte fanden «Red Sticks» endlich mal wieder Zeit für ein Video. «Day Zero» heisst ihr neuestes Werk, welches die Band Anfang April auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlichte. Schon in den ersten Sekunden ist klar, dass sich das Video grundsätzlich von den bisherigen unterscheidet. Während «Red Sticks» frühere Werke auf musikalische Art lustige, kleine Geschichte erzählt, ist «Day Zero» sehr viel düsterer.
«Day Zero» von «Red Sticks»
«Wir haben uns die letzten eineinhalb Jahre in einer recht dunklen Zeit bewegt, und mit ‚Day Zero‘ haben wir versucht, das künstlerisch überspitzt darzustellen», so Fiechter. Dabei hätten sie sich gefragt: Was wäre, wenn die Pandemie überhandnehmen würde? Mit dieser Frage entstand das postapokalyptische Setting à la Mad Max. Ganz so düster sehen die «Red Sticks» unsere Zukunft aber doch nicht. «Es ist nicht immer alles cool, es gibt Zeiten, die schwieriger sind. Das Video soll darin auch ein Hoffnungsbringer sein.» Die düstere Stimmung ist aber nicht der einzige Unterschied zu «Red Sticks» früheren Werken.

Foto: Keystone
«Für ‚Day Zero‘ haben wir monatelang geplant und das ganze Konzept durchstrukturiert», erzählt Brunner. Bisher seien ihre Videos grösstenteils improvisiert gewesen. «Hier war jeder Schlag geplant, wir haben viel professioneller gearbeitet, hatten viel mehr Equipment, viel mehr Leute, die im Hintergrund mitgearbeitet haben, und auch einen Backing Track.» Also Hintergrund-Musik, die sie mit ihren Sticks nicht erzeugen können und darum vorher aufnehmen. «Alles in allem war es viel aufwändiger.»
Und teurer. Während die Produktion der meisten bisherigen Videos so gut wie gar nichts kostete, mussten die «Red Sticks» für «Day Zero» tief in die eigenen Taschen greifen. Das, obwohl die meisten Mitwirkenden (Tänzerinnen, Kameramann, Licht- und Tontechniker) gratis oder fast gratis mitmachten und auch die Westhalle Thun der Band bei der Nutzungsgebühr des Drehorts entgegenkam. Der Grossteil der vierstelligen Kostensumme ging für die Materialkosten drauf.

Foto: zvg
Zu Beginn des Projekts seien nur rund 1500 bis 2000 Franken budgetiert gewesen, so Bratch «Wir waren uns sicher, dass das mehr als genug sein wird, doch da lagen wir offensichtlich falsch.» Stichwort Teppichklebband. «Die Westhalle hat weisse Wände und einen hellgrauen Industrieboden, und damit wir für unser Video die Illusion eines leeren Raums erschaffen konnten, mussten wir alles komplett mit schwarzen Moltonen und Bühnen-Teppichen abdecken.»
Benjamin Bratch, Raphael Brunner und Eliad Fiechter von den «Red Sticks» präsentieren ein neues Video.
Doch dafür reichte die erste eingekaufte Fuhre Teppichklebband nicht. Oder die zweite. Oder die dritte. Nach der vierten Fahrt zum Baumarkt war die Westhalle endlich schwarz. So sei es ihnen gleich bei mehreren Sachen ergangen, etwa auch bei der schwarzen Sprayfarbe fürs Schlagzeug. «Irgendwann war uns das Geld dann einfach egal. Wir hatten das Projekt angefangen und wollten es richtig beenden», so Fiechter.

Dank der, wenn auch etwas holprigen, Vorbereitung lief beim Dreh dann fast alles rund. Bei einigen Szenen spielten die «Red Sticks» aber wortwörtlich mit dem Feuer. Zwar hätten sie sich gut auf den Dreh vorbereitet und sehr viele Sicherheitsmassnahmen getroffen, so Bratch. «Wir haben Löschdecken unmittelbar neben dem Set bereitgelegt und die umliegenden Teppiche nass gemacht, damit sich das Feuer nicht ausbreiten kann.»
Dennoch ging etwas schief. «Beim Dreh gelangte das Feuer vom Becken auf mein Bein und hat dort frisch-fröhlich weitergebrannt», erzählt Bratch. Dank der Sicherheitsmassnahmen hätten sie das Feuer aber schnell löschen können, ohne dass er bleibende Schäden davontrug.
Trotz des kleinen Malheurs sehen die «Red Sticks» den Dreh und das daraus entstandene Video als Erfolg. «Wir haben schon sehr viel positives Feedback bekommen, besonders hat den Leuten das Epische am Video gefallen», so Brunner. Ein paar kritische Stimmen gab es dennoch. «Das war aber klar und gehört zum Job.» Auch den Bandmitgliedern gefällt das Endprodukt, besonders geschätzt haben sie aber die Zeit, die sie miteinander verbringen konnten. «Das hat uns als Band wieder mehr zusammengeschweisst.»
