Schon seit es den Beruf gibt, wird den schwarz gekleideten und Dächer besteigenden Handwerkern eine glücksbringende Wirkung nachgesagt. Dieser Glaube ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern hat einen sogar sehr grossen Funken Wahrheit in sich. Und obwohl sich die Arbeitsweise der russigen Glücksbringer über die Jahrhunderte verändert hat, bleibt dieser Funken ein Teil davon.

2021 neigt sich dem Ende zu und die meisten können es wohl kaum erwarten, was 2022 hoffentlich besseres mit sich bringen wird. Um dem Glück im neuen Jahr auf die Sprünge zu helfen, gehören schon seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten gewisse Traditionen zum Silvesterfest. Da wäre etwa das Verfassen von Neujahrs-Vorsätzen, das Bleigiessen und das Dekorieren der Tafel mit Glücksbringern wie etwa Kaminfegern.

Es ist 7.00 Uhr morgens, als mich Patrick Nacht in sein Büro und Zuhause bittet: das Hauptquartier der Nacht-Kaminfeger in Schliern bei Köniz. Während ich es mir in der wohlig beheizten Stube bequem mache, rückt Nachts Team bereits zu ihren Einsätzen des Tages aus. Kurz darauf hört man die Maschinen dröhnen, die aus dem knapp 100 Meter entfernten Lager des Wärmeverbunds Köniz-Schliern rund acht Tonnen Asche pumpen. Als wir eine halbe Stunde später selbst vorbeischauen, steigt gerade einer von Nachts Männern – ausgestattet mit einem Ganzkörper-Schutzanzug und einer Atemschutzmaske – das Loch hinunter, um die Wände vom übriggebliebenen Russ zu befreien.

Öl, Gas und Holz
Keine alltägliche Aufgabe. Zwar versorgt die Anlage des Wärmeverbunds einen Grossteil des Dorfes mit Wärme, der Rest wird aber von deutlich kleineren Anlagen beheizt. Die meisten davon sind laut Nacht Öl- und Gasheizungen. Doch gerade auf Bauernhöfen gibt es noch vereinzelt Zentralheizungen, die mit Holz betrieben werden. Diese müssen wegen ihres meist täglichen Gebrauchs mindestens zweimal jährlich gereinigt werden. Die Verantwortung darüber, dass die Abgasleitungen regelmässig gereinigt werden, hat fast in der ganzen Schweiz der Hausbesitzer. Im Kanton Bern ist dies erst seit vergangenem Jahr so.


Seit 2021 herrscht unter den Berner Kaminfegern freie Marktwirtschaft. Davor war der Kanton in Dutzende Kreise aufgeteilt, für die der jeweils zuständige Regierungsstatthalter alle paar Jahre einen Kaminfeger-Betrieb wählte. Dieser hatte dann das Monopol auf alle in seinem Bezirk liegenden Kamine, war aber gleichzeitig auch dafür verantwortlich, dass die regelmässigen Reinigungen und die Brandschutzkontrollen, die sogenannte «Schwarze Feuerschau», eingehalten werden. Noch früher – im Mittelalter – waren Kaminfeger wandernde Handwerker, die hauptsächlich aus Italien stammten und in ganz Europa unterwegs waren.
Mit Brandschutz zum Glücksbringertum
Aus dieser Zeit stammt der Glaube an den glücksbringenden Kaminfeger. Schon damals hatte man die Wichtigkeit des Berufs erkannt. Durch das Entfernen der Russablagerungen aus Schornsteinen sorgten Kaminfeger zum einen dafür, dass geheizt und gekocht werden konnte, und verringerten gleichzeitig die Brandgefahr. Kein Wunder also, dass die Kaminfeger bald zum Glückssymbol wurden. Um sich etwas von ihrem Glück zu sichern, muss man nur einen der goldenen Knöpfe an ihrer Uniform reiben.


Die Glücks-Knöpfe sind von den modernen Arbeitsuniformen verschwunden, den Bezirks-Kaminfeger gibt es dank der Liberalisierung des Systems nicht mehr und auch der Kaminbesen wird nicht mehr von Hand, sondern mit einer Art Akkuschrauber betrieben. Obwohl sich seit den Anfängen der Kaminfeger einiges verändert hat, hat der Glaube an ihre glücksbringende Funktion Bestand. Wenig überraschend also, dass sich ein Grossteil der Kunden über den Besuch des Nacht-Kaminfegerteams freut.
«Als Frau habe ich sicher noch einen kleinen Bonus, aber hier auf dem Land gibt es eigentlich immer einen Kaffee oder ein Znüni», erzählt Daniela Möri. Seit drei Jahren arbeitet die gebürtige Seeländerin bei den Nacht-Kaminfegern. «Es ist ein spannender Beruf.» Ihr Lieblingsteil sei der Kontakt mit den Kunden. «Es gibt einen grossen Unterschied zwischen Stadt und Land, das ist schon ziemlich krass.»


Bevor sie zu den Nacht-Kaminfegern kam, arbeitete Möri in einem Seeländer Betrieb, in dem sie auch die dreijährige Lehre absolviert hatte. Die Entscheidung für die Ausbildung sei ursprünglich aus einem Witz entstanden: «Ich wusste nicht, was ich machen will, und weil gerade der Kaminfeger bei uns zu Haus war, witzelte meine Mutter, ich könnte ja mal als Kaminfegerin schnuppern.» Kurz darauf begann sie die Lehre.
Laut ihrem Chef Patrick Nacht eher eine seltene Geschichte, da man in der Branche schon seit einiger Zeit um den Nachwuchs kämpfe. Woran das liegt, könne er nur vermuten: «Vielleicht liegt es daran, dass viele nicht mal genau wissen, was wir machen.» Dem versuchen er und seine Branchen-Kollegen etwa mit Informationsständen an Lehrlingsbörsen entgegenzuwirken. Vielleicht liegt es ebenfalls an den früh beginnenden und nicht selten anstrengenden Arbeitstagen. Auch wenn es «mit Sicherheit gemütlichere» Jobs gäbe, kommt ein Berufswechsel für Nacht nicht infrage. «Dafür macht er mir viel zu viel Spass.» Mit ein wenig Glück werden das vielleicht 2022 noch ein paar mehr Jugendliche erkennen.