Nicht wenige Menschen haben grossen Respekt vor Rindviechern. Das ist nicht weiter überraschend, da die Wenigsten näheren Kontakt mit den Tieren pflegen und diese bis zu 1,2 Tonnen wiegen können. So ging es auch Nidauer FDP-Grossrätin Sandra Hess. Doch mithilfe von Kandergrunder Amtskollege Ernst Wandfluh (SVP) will sie ihre Angst überwinden.
Grossrätin Sandra Hess erzählt, woher ihre Angst vor Rindviechern kommt und ob die «Therapie» bei Grossrat Ernst Wandfluh etwas gebracht hat.
Seit den 1990er-Jahren sinkt der Rindviehbestand der Schweiz stetig. Dennoch lebten gemäss dem Schweizer Bauernverband Anfang 2021 noch immer rund 1,5 Millionen Kälber, Rinder, Kühe, Stiere und Ochsen, womit auf einen Rindviehkopf nur gerade knapp sechs Menschen kommen. Wohnt man in der Stadt wie etwa Sandra Hess, Berner Grossrätin und Stadtpräsidentin von Nidau, kriegt man von der Masse an Rindviechern nicht sonderlich viel mit.

Geht man dagegen raus aufs Land, reiht sich schnell mal eine Herde an die nächste. Zwar kann man den Rindviechern auch hier leicht aus dem Weg gehen, indem man schlicht ihre Wiesen nicht betritt, doch gerade beim Wandern führt der Weg regelmässig mitten durch ihre Weideflächen hindurch. Diese Situation kennt Hess nur allzu gut.

Als Kind habe sie sich sehr gerne auf Bauernhöfen und in Umgebung von Rindviechern aufgehalten, erzählt Hess. «Irgendwann habe ich wohl etwas falsch gemacht und eine der Kühe ist mir hinterhergerannt. Seitdem habe ich wahnsinnig Respekt vor ihnen.» Als sie das vor einiger Zeit ihrem Grossrats-Kollegen und Landwirt Ernst Wandfluh erzählte, lud dieser sie auf seinen Hof zu einer Art Therapiestunde ein. Am vergangenen Mittwochnachmittag fand diese nun statt.


Laut Wandfluh gibt es keine «bösen» Rindviecher. «Aber es gibt schon solche, die etwas zutraulicher sind, und solche mit etwas mehr Temperament.» Bei einem Gewicht von 500 Kilo bis zu 1,2 Tonnen ist ein gesundes Mass an Respekt gerade vor fremden Rindviechern also sicher nicht verkehrt. Zudem seien die Tiere grundsätzlich recht territorial, weshalb man beim Durchqueren einer Weide immer Vorsicht walten lassen sollte. «Man sollte es etwa immer vermeiden, durch eine Herde hindurchzulaufen, und stattdessen wann immer möglich um sie herumgehen.» Weiter sei es ratsam, sich speziell von Mutterkühen und ihren Jungen fernzuhalten.


Selbst wenn man sich einem Rindvieh nähern müsse, gäbe es einige Zeichen, woran man den Gemütszustand des Tiers ablesen kann. Am einfachsten geht das an den Ohren: «Sind die Ohren nach vorne offen gerichtet, ist das Tier zwar eindeutig interessiert, aber ruhig. Klappt es die Ohren nach hinten, sollte man lieber Abstand halten.» Ebenso, wenn das Tier sich von einem entfernt. Dann hat es kein Interesse daran, mit einem zu interagieren, weshalb man es am besten einfach in Ruhe lässt.


Passiert genau das Gegenteil, und ein Rindvieh läuft auf einen zu, sollte man laut Wandfluh vor allem eins nicht: in Panik verfallen und weglaufen. Meist seien die Tiere einfach nur daran interessiert, was sich da auf ihrer Weide verirrt hat und wollen sich das genauer anschauen. Wenn man dann wegläuft, macht man sich nur noch interessanter, und die Tiere rennen einem nach. So etwas Ähnliches ist gemäss Wandfluhs Einschätzung wohl auch in Hess‘ Kindheit passiert.


Anders sieht es dagegen aus, wenn ein Rindvieh mit gesenktem Kopf, angelegten Ohren und schnaubend auf einen zurennt. «Dann fühlt sich das Tier eindeutig bedroht und greift an.» Aber selbst dann sollte man nicht wegrennen, denn ein Rindvieh kann eine Höchstgeschwindigkeit von 40 Stundenkilometern erreichen und somit auf kurzen Strecken mit einem Menschen mithalten. Stattdessen solle man sich möglichst gross machen, mit den Armen wedeln und laute Geräusche machen. «Das schüchtert das Tier ein, und es wird entweder die Richtung ändern oder wenige Meter vor dem Menschen zum Stehen kommen.»

Nach knapp zwei Stunden ist die Therapiesitzung vorüber, und das Fazit von Sandra Hess fällt durchaus positiv aus: «Es hat auf jeden Fall etwas gebracht. Ich bin den Kühen wirklich sehr nahe gekommen und habe gemerkt, dass das sehr ruhige und freundliche Tiere sind.» Ob dieser Effekt allerdings nachhaltig sei und sie bei Kühen auf der Alp ohne den Landwirt anwesend ebenfalls so entspannt sein könne, werde sich zeigen. «Aber ich habe das Gefühl, dass ich einen guten Teil meiner Angst abbauen konnte.»
